Katastrophale Unterbringung und Beschäftigung von Erntehelfer*innen

Deutschland im Süden – im Jahr 2021

Wir befinden uns nicht in einer südamerikanischen Slumsiedlung noch in einer afrikanischen Flüchtlingsunterkunft, sondern im reichen Süden der Republik: im Bodenseeraum. Erstmals wurden dieses Jahr georgische Erntehelfer*innen in Deutschland zugelassen, um die Landwirtschaft bei der Obsternte zu unterstützen. Dies war notwendig, weil aus Polen und anderen osteuropäischen Ländern immer weniger Saisonkräfte kommen. Doch wie die Menschen hier unterkommen und zu welchen Bedingungen sie arbeiten müssen, darauf wurde in der Vergangenheit wenig geschaut. So auch bei einem Obsthof in der Nähe von Friedrichshafen, auf dem 24 georgische Erntehelfer*innen untergebracht waren. Über den Weg einer Videoaufzeichnung eines Beschäftigten und eines Presseartikels wurden auch die Beratungsstelle mira – Mit Recht bei der Arbeit (eine Beratungsstelle für arbeitsrechtliche Unterstützung von Geflüchteten und Migrant*innen, die nicht aus der EU kommen) und die Betriebsseelsorge auf die Menschen aufmerksam. Anfang Juni besuchten Margarete Brugger von mira und Betriebsseelsorger Werner Langenbacher, gemeinsam mit einer Dolmetscherin, die Menschen aus Georgien. Was sie vorfanden, waren unzumutbare Verhältnisse. Container mit verschimmelten Wänden und Decken, als Toiletten dienten zum Teil Dixie-Kabinen im Freien, Fenster ließen sich nicht öffnen oder waren zugemauert, in einer Toilette ist der Bretterboden durchgebrochen, in einigen Containern gab es keine Spinds für Kleidung, Frauen mussten zur Toilette durch den Männer-Container. Kakerlaken und Ungeziefer waren ständige Begleiter. Arbeitskleidung, die ihnen in Georgien zugesichert wurden, bekamen sie nicht, so dass sie mit Sandalen oder Halbschuhen im Matsch und in der Kälte die Erdbeeren pflücken mussten. Verpflegung gab es nur abends, obwohl zeitweise um 5 Uhr mit der Arbeit begonnen wurde. Den Hof durften sie nicht verlassen, da immer mal wieder kurzfristig Arbeit angeordnet wurde.

Auch die Arbeitsbedingungen entsprachen nicht den rechtlichen Vereinbarungen. Statt Mindestlohn gab es nur Stücklohn, geleistete Zeiten und zustehender Lohn waren nicht transparent, die Arbeitsverträge wurden bei der Ankunft vom Hofbesitzer eingesammelt. Trotz rechtlicher Verpflichtung wurden für die Beschäftigten keine Krankenversicherungen abgeschlossen, was zur Folge hatte, dass Erkrankte nicht zum Arzt durften. Coronaschutzmaßnahmen sind nicht eingehalten worden. Als zu späterer Zeit sich das Landratsamt einschaltete, zählte die Behörde insgesamt 30 Mängel auf. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit nahm den Betrieb unter Kontrolle.

Wie ging es weiter? Durch die Initiative und Vermittlung von mira fand sich durch die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit im Norden ein neuer Betrieb, der die Beschäftigten mit einem Bus abholen ließ. Zuvor war Langenbacher noch zwei Mal bei den Erntehelfer*innen, um ihnen das rechtliche Vorgehen zu erklären. Zum einen wurden fristlose Kündigungsschreiben erstellt sowie ein Schreiben für die Rechtsantragsstelle des Arbeitsgerichts aufgesetzt mit der Bitte, Lohnklage einzulegen. Mitte Juli nahm das Arbeitsgericht die Klage auf Zahlung des vereinbarten Mindestlohns an und im August wird es eine Güteverhandlung dazu geben.

Happy end? Leider nein, denn der neue Hof hielt sich bei den Arbeitsbedingungen auch nicht an die Abmachungen. Daraufhin beschloss die Hälfte der Georgier*innen, wieder zurück in ihre Heimat zu reisen. Gilt Art.1 des Grundgesetzes – die Würde des Menschen – auch für diese Personen?

Werner Langenbacher, Betriebsseelsorge Ravensburg
Margarete Brugger, mira – Mit Recht bei der Arbeit