gehalten von Andreas Foitzik am 27.1.2024 am Marktplatz Tübingen 

 

Danke an alle, die hier sind. Das ist so wichtig! 

Danke aber vor allem auch an die Organisator_innen dieser Kundgebungen. So cool, was ihr hier auf die Beine stellt.  

Es ist gut und wichtig, mit einem breiten Bündnis eine Brandmauer zu stellen gegen die AfD und alle anderen faschistischen und rechtsextremen Kräfte, die diese Gesellschaft zu einer anderen Gesellschaft machen wollen. Zu einer entmenschlichten dumpfen völkischen Gesellschaft. Einer Gesellschaft, in der die Menschenrechte, die heute schon keine große Bedeutung haben, vollends auf dem Mülleimer der Geschichte landen werden.  

Es geht jetzt nicht darum – wie oft zu hören – dass wir uns nun endlich für andere Gruppen einsetzen müssen. Es geht darum, in welcher Gesellschaft wir alle zusammenleben wollen.  

Gut, dass wir alle hier sind, jung und alt, aus allen Schichten, aus allen Geschlechtern, mit ganz unterschiedlichen Positionen in dieser Gesellschaft. Aber manche von uns dürfen auch schon jetzt nicht wählen. Manche von uns haben jetzt schon Sorge, abgeschoben zu werden. Manche von uns können auch jetzt schon ihre Identität nicht frei ausleben. Manche von uns können sich auch bisher nicht sicher fühlen und sich nicht frei bewegen. 

Wir stehen hier heute am Holocaustgedenktag. Wie unvorstellbar, dass sich jüdische Menschen, Rom*nja und Sinti*zze, Menschen mit Behinderung, queere Menschen heute wieder von einer Machtübernahme durch faschistische Kreise bedroht fühlen müssen! 

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Viele Kolleg_innen bei adis e.V. sind eng verbunden mit verschiedenen Communities. Auch dort sind viele begeistert von den Millionen Menschen, die endlich aufstehen. Aber sie fragen auch: Wo wart ihr in den letzten Jahren? Ist irgendwas davon, was bei den Correcitv-Recherchen rauskam, wirklich neu? Ihr regt euch auf über das Wort Re-Migration, aber wo wart ihr, als sie die „Rückführungsverbesserungsgesetze“ beschlossen werden?  

Diese Frage stelle ich mir auch ganz persönlich. Habe ich die Möglichkeiten, die mir meine privilegierte Position in dieser Gesellschaft gibt, genutzt? Auch ich habe die Gefahr der AfD unterschätzt, obwohl ich es hätte besser wissen können. Auch ich habe zu wenig wahrgenommen, wie sehr sich viele von der Untätigkeit der sogenannten Mehrheitsgesellschaft allein gelassen fühlen. 

Der deutsch-jüdische Schriftsteller Max Czollek schreibt:  

Merkt euch mal, was die letzte Woche in Deutschland an Demos und Antifaschismus passiert ist. Schließt es als Hoffnung in euer Herz ein. Ich habe die Vermutung, wir werden diese Erinnerung in den kommenden Monaten noch dringend brauchen. 

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Wir erleben seit einigen Jahren einen Überbietungswettbewerb von Parteien und Mandatsträger_innen und – das sage ich hier bewusst vor diesem Rathaus – Bürgermeister_innen, die die AfD damit bekämpfen wollen, dass sie ihre Positionen übernehmen. Sie nennen das, die „Sorgen der Bürger ernst nehmen“ und verbieten dann zum Beispiel inklusive Sprache. Wir sagen euch: das hat noch nie geklappt. Im Gegenteil. Sie machen so die Themen der Rechten erst salonfähig. Und wenn die Themen erstmal salonfähig sind, wählen die Leute lieber das Original.  

Bekämpfen wir gemeinsam die immer mehr wachsende Schere zwischen Reichtum und Armut. Kämpfen wir gemeinsam für eine Weiterentwicklung der demokratischen Beteiligung, in der alle Stimmen gehört werden.  

Lasst uns Brandmauern gegen jede Form von Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung errichten an allen Orten und in den Institutionen, in denen wir uns bewegen. In den Betrieben, in Schulen, an der Universität.  

Brandmauern gegen Rassismus, Transfeindlichkeit, Behindertenfeindlichkeit, gegen die Abwertung und Ausgrenzung von Menschen, die von Armut und Obdachlosigkeit betroffen sind. 

Nochmal Max Czollek. Die Proteste der letzten Wochen sind eine Gelegenheit, sich daran zu erinnern, dass symbolische Handlungen reale Handlungen nicht ersetzen können. Ein Statement gegen rechts ist nicht das gleiche wie ein Gesetz. Ein Gedenktag nicht das gleiche wie die Verhinderung der Gewalt. 

Es gibt dazu viele Gelegenheiten:  

Im Frühjahr wird in Baden-Württemberg ein Landesantidiskriminierungsgesetz beschlossen. Es wird ermöglichen, dass sich Menschen wehren können, wenn sie an der Schule, an der Uni, von der Polizei oder auch vom Ausländeramt diskriminiert werden. Ausgerechnet die Kommunen und sicher auch bald die Polizei laufen nun Sturm gegen das Gesetz und sprechen von einem Generalverdacht gegen ihre Mitarbeitenden. Hier müssen wir gegenhalten. 

Aber auch, wenn immer wieder neue Mauern um Europa gezogen werden, oder es darum gehen wird, das Gendern per Gesetz zu verbieten, oder hier im Rathaus über eine Unterstützung der Transberatung abzustimmen. 

Und an alle Menschen, die sich in Parteien engagieren: Errichtet Brandmauern, wenn sich eure Partei damit profilieren will „im großen Stil abzuschieben“. Errichtet Brandmauern, dass sie nicht mit rechtsextremen Kräften zusammenarbeiten, nirgends, nie.  

An die Menschen, die wie ich ein Leben ohne die Erfahrung von Diskriminierung mit vielen Privilegien leben: Nutzt diese Möglichkeiten und überlegt, wo ihr von diesen Möglichkeiten, etwas abgeben könnt.  

Lasst uns nicht nur Brandmauern bauen, dass alles nicht noch schlimmer wird. Lasst uns die Mauern einreißen, die uns trennen.